Für den Einstieg ins Handwerk ist nicht unbedingt ein Schulabschluss erforderlich. Auch Studienabbrecher erhalten hier gerne eine zweite Chance. Viele finden hier ihre Leidenschaft fürs Leben.
Nach dem Abi eine Ausbildung im Handwerk? „Für mich genau das Richtige“, sagen Amelie Müsch (19 Jahre) und Moritz Nehrling (21). Beide machen in der Tischlerei der Freiraumvier GmbH eine Ausbildung zum Tischler. Serdar Edem versuchte es erst mit einem Studium, brach nach zwei Jahren aber ab. Er begann eine Ausbildung zum Metallbauer, ist inzwischen selbstständig, hat mit seinen Kreationen schon Designpreise gewonnen und ist heute ein „Botschafter des Handwerks“.
Drei Ausnahmen von der Regel? Absolut nicht! Laut einer Studie der Universität Göttingen sind 84 Prozent der Handwerker mit Abitur besonders zufrieden mit ihrem Job. 81 Prozent sind es unter allen Handwerkern. Warum sie so zufrieden sind? Hier findest Du die Gründe:
Extreme Vielfalt
„Wir machen mal eine Treppe, mal eine Küche, mal Schränke oder Sideboards und mal was an einer Fassade. Wir arbeiten neben Holz auch mit anderen Werkstoffen und mit anderen Firmen zusammen. Langweilig wird es nie“, sagt Moritz Nehrling. Und: Es gibt mehr als 130 verschiedene Handwerksberufe – mal drinnen, mal draußen, mehr technisch, mehr künstlerisch, mit viel Kundenkontakt oder wenig, mal ist Muskelkraft, mal Fingerspitzengefühl gefragt. Für jedes Talent ist also was dabei.
Gutes Gehalt
In vielen Handwerksbranchen gibt es überdurchschnittliche Verdienstmöglichkeiten. Fertige Gesellen liegen mit ihrem Einkommen teilweise über dem eines Bachelor-Absolventen. Handwerker in gehobenen Positionen – beispielsweise als Meister – verdienen noch mehr.
Zukunftssicher
Der Bedarf an guten Handwerkern wird weiter steigen. Denn auch künstliche Intelligenz kann sie nicht ersetzen. Stattdessen sind durch die Digitalisierung extra spezialisierte Handwerker noch stärker gefragt. Beispiel: Elektroniker für Gebäudesystemintegration machen das Smart Home erst möglich. Und: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass Azubis im Handwerk übernommen werden oder einen Job in einem anderen Betrieb finden“, sagt Moritz Nehrling.
Beste Karrierechancen
Nach der Lehre studieren, sich in neuen Technologien fortbilden, den Meister machen – es gibt viele Aufstiegschancen. Dazu gehört auch, einen eigenen Betrieb zu gründen oder einen bestehenden zu übernehmen. Rund 200.000 Betriebe in Deutschland suchen in den nächsten zehn Jahren Führungsnachwuchs.
Fortschrittlich
„In unserem Alter denken viele, das Handwerk wäre altbacken“, sagt Amelie Müsch. Falsch gedacht: In allen handwerklichen Branchen kommen neue Technologien zum Einsatz. Azubis lernen etwa, mit 3D-Druck oder intelligenten Datenanalysen umzugehen. Die Digitalisierung geht im Handwerk schneller voran als in vielen anderen Berufen.
Work-Life-Balance
Arbeitgeber müssen mit der Zeit gehen, um Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. Vier-Tage-Wochen werden in vielen Branchen und Betrieben des Handwerks immer normaler. „Wir haben jeden zweiten Freitag frei“, berichtet Amelie Müsch aus ihrem Ausbildungsbetrieb.
Sichtbare Leistung
Am Ende des Arbeitstags kann man sehen und fühlen, was man als Handwerker am Tag geschaffen hat. „Wenn man ein Stück Material vor sich hat und sieht, was daraus wird, dann befriedigt das“, sagt Fin Clas Classen, Studienabbrecher und inzwischen Tischler, in der Deutsche Handwerks Zeitung.
Aktiver Klimaschutz
Ohne Handwerk keine Wärmedämmung, keine effiziente Energienutzung, keine Photovoltaikanlagen, kein Klimaschutz. Sprich: Wer im Handwerk arbeitet, sorgt eigenhändig dafür, dass Klimaschutzziele erreicht werden.
Ungebunden sein
Das Handwerk ist überall – und damit sind Arbeits- und Wohnort völlig frei wählbar. Auch Auslandsaufenthalte sind möglich. „Ich kenne beispielsweise einen Azubi, der erst ein Praktikum in Schweden gemacht hat und demnächst über ein Förderprogramm der EU nach Finnland geht“, erzählt Moritz Nehrling.
Beate Berrischen